Die Stadt Böblingen arbeitet an einem neuen Radkonzept. Auf der extra dafür eingerichteten Seite bb-radachsen.de werden 10 Radachsen vorgestellt, und alle am Radverkehr Interessierten sind aufgerufen, sich zu beteiligen. Um folgende Routen geht es:
- Flugfeld-Achse
- Glemswald-Achse
- Mauren-Achse
- Nordtangente
- Panorama-Achse
- Schönaich-Achse
- Schönbuch-Achse
- Schwippe-Achse
- Wasserberg-Achse
- Westtangente
Bis zum 21.08.2021 besteht die Möglichkeit den Stadtplanern Feedback zu geben. Bitte macht davon regen Gebrauch, beteiligt euch, redet darüber, sprecht Freunde darauf an und macht auf euren sozialen Netzwerken darauf aufmerksam. Wir wollen diesen Prozess unterstützen und begleiten.
Die 10 projektierten Radachsen werden unser Stadtbild entscheidend prägen. Du kannst mitbestimmen, wo du oder deine Kinder in den nächsten Jahren Fahrrad fahren werden. Die Bürgerbeteiligung der Stadt soll ergebnisoffen sein und wird von einer externen fahrradaffinen Agentur ausgewertet. Irgendwann wird aber festgelegt, ob wir künftig Radrouten entlang der Hauptstraßen haben oder ob Radverkehr über Nebenstraßen geleitet wird. Lass dir diese Möglichkeit nicht entgehen!
Da uns dieses Radkonzept sicher auch über den 21.08.2021 hinaus beschäftigen wird, wollen wir allen Interessierten hier auf Radeln-in-BB dauerhaft die Möglichkeit geben, sich dazu zu äußern. Hierzu einfach auf die entsprechende Radachse (oben) klicken.
Wir wollen nicht in Konkurrenz zur städtischen Bürgerbeteiligung treten. Aktuell ist diese vorrangig und es ist wichtig, dass du dich dort beteiligst und den Planern mitteilst, was du dir wünschst, was dich stört und was bisher fehlt. Wir würden uns freuen, wenn du deine Mitteilung an die Stadt kopierst und hier unter dem passenden Artikel ebenfalls postest, so bleibt auch über den 21.08.2021 hinaus die Möglichkeit, dein Feedback zu lesen und die Diskussion fortzuführen.
Was hältst du vom vorgestellten Konzept der 10 Radachsen? Kannst du ein Konzept erkennen? Hast du Ideen für alternative Konzepte? Oder bist du der Meinung, dass zunächst die seit langem bekannten Mängel abgearbeitet werden sollten.
Hier ein Bild in hoher Auflösung der geplanten Radachsen und hier nochmal der Link zu den Radachsen-Homepage.
Ich habe heute den folgenden Text geschrieben um der Stadt meine Meinung zu den Radachsen mitzuteilen. Es sind 6171 Zeichen. Das Feedback-Formular der Stadt erlaubt 500 Zeichen. Ich werde mein Feedback also zunächst nur hier einstellen und nach Freischaltung eine Kurzzusammenfassung mit Verweis auf diesen Kommentar an die Stadt verfassen.
Das zur Diskussion gestellte Konzept der 10 Radachsen mit einer Gesamtlänge von 44 km, ist in der derzeitigen Form abzulehnen. Zumindest ist eine grundlegende Überarbeitung unumgänglich.
Die Planerinnen der Stadt hätten sicher ein wesentlich besseres Konzept vorlegen können, wenn man sie gelassen hätte. Was uns am Samstag vorgestellt wurde ist jedoch eher eine Schnitzeljagd auf dem Fahrrad mit tollen Namen für die Routen und Aussichtspunkten, als ein tragfähiges Verkehrskonzept.
Im (mit professioneller Unterstützung erstellten) Verkehrsplan 2009 findet sich vieles, was bislang nicht oder nur unzureichend verwirklicht wurde. Bei der Konzeption der nun vorgestellten Routen hätte nun eigentlich berücksichtigt werden müssen, was sich dort auf Seite 115 findet:
Zitat: Radverkehrsrelevante Quellen und Ziele
Grundlage zur Ermittlung dieser Grundbedürfnisse der räumlichen
Vernetzung bilden die in der Gesamtstadt räumlich verteilten, rad-
verkehrsrelevanten Ziele und Quellen, insbesondere:
-Schulen, Kindergärten und -tagesstätten
- Öffentliche Einrichtungen (z.B. Verwaltungseinrichtungen)
- Arbeitsplatz- und Wohnstandorts-Konzentrationen
- Dienstleistungs- und Handelseinrichtungen (z.B. Arztpraxen,
Nahversorgung)
- Freizeitangebote
- Bike & Ride-Standorte als Verknüpfungspunkte zum Öffentlichen
Personennahverkehr
Der als Ergebnis zu bildende Netzvorschlag wird das Produkt eines
Prozesses, bei dem Wegeverbindungen zwischen den vorgenannten
Zielen und Quellen in einem optimierten Ausgleich von
- Verkehrssicherheit und
- einer direkter, umwegfreien, aber auch topographisch-angepassten Wegeführung gesucht werden.
Quelle: www.boeblingen.de/start/StadtPolitik/Verkehrskonzept.html
Insbesondere bei den radverkehrsrelevanten Zielen, besteht erheblicher Nachbesserungsbedarf. Die vorgestellten Radachsen umfahren zB. die Schulen eher, als sie anzubinden und nur mit viel gutem Willen ist eine eine direkte, umwegfreie und topografisch angepasste Wegeführung erkennbar.
Ich werde versuchen, in der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung gestellt wurde, bei der Besprechung der einzelnen Radachsen näher darauf einzugehen. Ich betrachte es aber auch als Zumutung, dass nun engagierte Radfahrende in dieser kurzen Zeit 44km Radrouten analysieren sollen und der Stadt dann vermutlich mitteilen, was man dort ohnehin weiß, aus diversen Gründen aber nicht will.
Generell gilt, wer Radwege baut wird auch Radverkehr bekommen. Viel Routen haben aber bereits eklatante Mängel in der Wegführung und richten sich wohl an Freizeitfahrer, die die Routen einmalig befahren werden. Einzelne Teilstücke könnten für manche Menschen aber auch interessant sein und sie motivieren, vermehrt das Fahrrad zu nutzen. Entscheidend hierfür sind
1. Alltagstauglichkeit mit den folgenden Kernanforderungen:
- Bei Nacht befahrbar bedeutet Beleuchtung in Siedlungsbereichen
- Im Winter befahrbar, also muss Winterdienst ggf. möglich sein
- Bei Nässe befahrbar bedeutet feste Oberflächen, wie z.B. Asphalt
2. Sicherheit sowohl objektiv als auch subjektiv
In ihren Ankündigungen verspricht die Stadt einen regelgerechten Ausbau. Eine kleine Zusammenfassung, was als regelgerecht zu verstehen ist, wird zeitnah auf radeln-in-bb.de erscheinen. Bei der Gesamtbetrachtung des Konzepts möchte ich mich zunächst auf einen Punkt beschränken. Nach §45 Abs.1c STVO sind in Tempo-30-Zonen benutzungspflichtige Radwege nicht zulässig. Es ist nicht unmöglich, in Tempo-30-Zonen Wege anzulegen, die es Menschen ermöglichen objektiv und subjektiv sicher mit dem Fahrrad zu fahren. Es ist zumindest auch teilweise möglich, shared-spaces und Fahrradstraßen zu einzurichten auf denen Radfahrende und der motorisierte Verkehr gleichberechtigt und sicher fahren können. Ich halte es aber für ausgeschlossen, dass die Verwaltungsspitze in Böblingen dies auch nur in Erwägung ziehen könnte. Ein großer Teil der nun vorgestellten Routen führt aber scheinbar bewusst durch Tempo-30-Zonen. Es muss derzeit davon ausgegangen werden, dass sich die Verwaltung dort auf Hinweisschilder beschränken wird und ganz überwiegend nur touristische Infrastruktur geschaffen wird, jedoch keine oder wenig sicherheitsrelevante. Ich halte es aber für illusorisch, dass allein durch Hinweisschilder eine Stärkung des Alltagsradverkehrs möglich ist. An ein solches solches Konzept haben Verkehrsplaner vielleicht 1975 geglaubt. Nach heutigen Wissensstand ist es eine Schnitzeljagd und sicher kein Verkehrskonzept.
In Sachen Radverkehr ist Böblingen bislang sehr schlecht aufgestellt und Radfahrende müssen sich eigentlich über alles freuen, was ihnen angeboten wird, denn Brotkrumen sind immer noch besser als gar nichts. Leider stellt die Stadtverwaltung diese Brotkrumen in ihrer Kommunikation ständig besonders heraus. In der Gesamtbevölkerung entsteht so der Eindruck, für Radverkehr würde unverhältnismäßig viel getan, selbst aus der Windschutzscheibenperspektive könnte dieser Eindruck noch entstehen. Mit Ausnahme der Calwer-Straße ist die Realität für Radfahrende aber eine andere. Mit dem nun vorgestellten Konzept wird dieser Eindruck weiter verstärkt. In der Realität werden dann überwiegend Hinweisschilder aufgestellt, während tatsächlich erfolgversprechende und sinnvolle Maßnahmen nur auf wenigen Abschnitten einzelner Routen zu erwarten sind. Radfahrende werden daher weiterhin durch den Stadtgarten oder über die Straßen fahren, die sie für sinnvoll und ausreichend sicher halten. Der Zorn (und eigentlich völlig unbegründete Neid) auf die Radfahrenden, die obwohl sie nun 44km Radwege erhalten, trotzdem auf den Straßen der Autofahrer und den Wegen der Fußgänger fahren, wird hierdurch weiter gestärkt und ein Keil in die Bevölkerung getrieben. Dies gefährdet die Akzeptanz für weitere dringend erforderliche Maßnahmen, verstärkt die ohnehin zunehmende Aggressivität gegenüber Radfahrenden und führt damit insgesamt zu eher weniger Radverkehr. Damit ist das Konzept abzulehnen. Ich werde dennoch versuchen, einzelne Routen zu analysieren und mein Feedback dazu zu geben. Ich hoffe auch darauf, dass das viele andere Radfahrende tun, denn eine echtes Radkonzept für Böblingen ist dringend erforderlich.
Frank Kässer