Wenn Sie ein Auto besitzen, sind Sie sicher das übliche Prozedere gewohnt. Die Wartungsanzeige erscheint im Display, ein Anruf bei der Werkstatt, und spätestens in einer Woche bekommen Sie einen Termin. Eine einfache Suche im Web nach „Autowerkstatt Böblingen“ ergibt 39 Treffer, nur in Böblingen!
Die Suche nach „Fahrradwerkstatt Böblingen“ ergibt genau einen Treffer, nämlich der bekannte Fahrrad-Kaiser auf der Hulb, ziemlich am Ortsrand von Böblingen. Aber das ist nicht das einzige Problem, denn ein Fahrradladen in der Nähe heißt nicht automatisch, dass man sein Fahrrad repariert bekommt. Zur Zeit ist die Nachfrage nach Instandhaltung und Reparatur derart groß, dass Händler in der näheren Umgebung (Sindelfingen) nur noch Räder warten, die auch dort gekauft wurden. Diese Erfahrung musste ich gestern selber machen, denn ich wurde am „Sportivo“ in Sindelfingen persönlich abgewiesen, trotz vorherigen Anrufs.
Zum Glück ist das keine Boshaftigkeit der Fahrradhändler, sondern reiner Selbstschutz. Die Nachfrage ist einfach nicht mehr bewältigbar, und so versuchen sie zumindest, den eigenen Kundenstamm zufrieden zu stellen. Der Händler, der mich abgewiesen hatte, hatte nicht weniger als 150 Räder herumstehen, die auf eine Wartung bzw. Reparatur warteten.
Vor ein paar Jahren haben wir zwei Fahrradhändler verloren, die aus Altersgründen aufgehört haben. Böblingen befindet sich in einem akuten Fahrradwerkstattnotstand. Es müssen unbedingt ein oder zwei weitere Fahrradläden her, am besten natürlich Innenstadtnähe. Nur wie?
Es ist sicher nicht einfach, eine Fahrradwerkstatt zu eröffnen. Zum einen braucht man Kredit von einer Bank, um erstmal einen Bestand aufzubauen, zum anderen ist es bestimmt kein 9to5-Job, also geregelte Arbeitszeit mit 40 Stunden pro Woche. Der ehemalige Fahrradhändler Jaiser hat mir mal erzählt, dass sein Arbeitstag nicht selten bis 24 Uhr dauerte.
Würde sich so eine Institution lohnen? Die Nachfrage ist auf jeden Fall da und wird die nächste Jahre anhalten oder sogar noch größer werden, was heißt, dass ein gut geführter Laden mit Sicherheit mittelfristig überleben wird. Außerdem kann man das Reparieren von Fahrrädern schlecht automatisieren, man braucht technisch geschultes Personal. Die Automatisierung wird einen solchen Laden nicht wegoptimieren. Die beiden ehemaligen Händler, Jaiser und Ezee, haben auch nicht aus Geldmangel geschlossen, sondern aus Altersgründen. Und, als Serviceunternehmen dürfen sie sogar während Coronazeiten geöffnet haben.
Es gibt sicher Kandidatinnen oder Kandidaten, die sich das Führen einer Fahrradwerkstatt vorstellen könnten, aber vielleicht vom finanziellen Risiko oder der hohen Arbeitslast abgeschreckt werden. Ich denke, man muss schon ein Herz für das Fahrradfahren haben, um diesen Job auszufüllen.
Die Fahrradcommunity in Böblingen ist gar nicht so klein. Über diese Webseite, ADFC, Parteien, VCD etc. habe wir doch eine gewisse Reichweite. Vielleicht können wir darüber nachdenken, einem potentiellen Kandidaten bzw. Kandidatin den Sprung ins kalte Wasser zu erleichtern, z.B. durch finanzielle Beteiligung, technische oder betriebswirtschaftliche Ratschläge, oder Ähnliches. Auch die Betriebsform einer Genossenschaft mit geteiltem Risiko käme in Frage. Vielleicht könnten mehrere Fahrradliebhaber+innen den Betrieb eines solchen Ladens als Gemeinschaft (GmbH) in Betracht ziehen. Daimler baut gerade Stellen ab, sodass sich der eine oder die andere so etwas vorstellen könnte. Außerdem bliebe man in der Mobilitätsbranche 😉.
Fühlt sich jemand angesprochen? Hat jemand Lust auf einen eigenen Fahrradladen?
Die Unterstützung durch die Böblinger Fahrradgemeinschaft ist garantiert. Auch könnte ich mir vorstellen, dass die Gemeinde Böblingen bei der Suche nach einer Örtlichkeit behilflich sein kann. Wir müssen was tun! Mayday, bitte melden! Bitte melden! Bitte melden!